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Hypothesenabhandlung: Die SPD ist träge. Partizipation hat was mit Führung zu tun.

Ich sitze gerade im ICE nach Hamburg und möchte unbedingt einen Blog schreiben. Nicht um des Schreibens Willen, nein, ich hab eher das Gefühl mir liegt was auf der Brust. Etwas, das ich nun durch rhythmisches Anschlagen schwarzer Tasten von mir lösen möchte. So, wie es eigentlich immer der Fall ist, wenn ich schreibe. Aber um was geht es? Worüber schreiben, wenn man nicht weiß, was einen umtreibt?

Nach kurzer Überlegung treibt es mich wieder zu dem Thema, mit dem ich mich seit Wochen fast täglich beschäftige: unserem Mitgliederbegehren in der SPD zur Vorratsdatenspeicherung. Nach dem unerwartet lauten Startschuss durch Presse und Mitglieder kamen in den darauffolgenden Wochen so dann die Trolle (wenige), die Kritiker (einige) und die Miesmacher (viele). Als Initiatoren sind wir Dompteure, Diplomaten und Dolmetscher in einem, und weil wir in 2012 sind und nicht in 2002 das alles auch ganz öffentlich. Das Begehren läuft nun fast einen Monat, und dieser ganze Prozess ist nach wie vor faszinierend, angsteinflößend, motivierend und enttäuschend, alles gleichzeitig, alles durcheinander. Viel kann man momentan lernen, über die Partei mit ihren vielen verschiedenen Generationen und Facetten.

Nein, das ist kein Generationenthema. Vorratsdatenspeicherung ist nach wie vor Generationsübergreifend interessant und ein Gang zur lokalen AG60Plus kuriert schlagartig von jeglichen Anflügen altersbedingter Arroganz – VDS wird genauso gut verstanden wie jedes andere Thema, und nur weil man „Internet“ und „Handy“ sagt macht es das nicht gleich unwichtig: auch die ältere Generation versteht was Ortungsdaten bedeuten, genauso gut oder schlecht wie die Jusos oder andere Gruppierungen. Nein, Vorratsdatenspeicherung ist kein Generationenthema. Das Mitgliederbegehren an sich verbindet. Die Form der Partizipation. Partizipation an sich.

Vorab eine kleine Exkursion zu Beteiligung in Parteien. Ich schreibe das hier ohne Literatur, ohne Politikwissenschaftliches Studium, man verzeihe mir also das kurze Ausblenden (oder unbeabsichtigte weil unbekannte Wiederholen) von bereits bestehenden Theorien. Nun, ich frage mich erstmal – warum sollte ich in einer Partei mitarbeiten? Warum mich einbringen? Und warum sollte ich – falls ich gefragt werde – meine Meinung äußern, abstimmen, wählen? Und, zu guter Letzt: warum sollte ich andere dazu motivieren, gleiches zu tun?

Ökonomisch betrachtet (f— yeah BWL Studium!) ist es eine Kosten-Nutzen-Kalkulation: was gewinne ich durch meine Partizipation (z.B. Selbstverwirklichung, Zufriedenheit, Machtgewinn, Einfluss?) und was kostet mich selbige (z.B. Opportunitätskosten in Form von Zeit, die ich für andere Dinge hätte tun können, tatsächlicher finanzieller Aufwand oder den Verlust von Netzwerkeffekten beispielsweise durch den Verzicht auf Neutralität)? Jeder von uns hat so eine Überlegung bereits getroffen: gehe ich wählen oder fahre ich lieber mit Freunden an den See? Folge ich der Einladung der Partei zur Diskussionsrunde oder gucke ich lieber Fernsehen? Arbeite ich im Arbeitskreis mit oder gehe ich zum Geschäftsessen mit Kollegen?

Die Faktoren, die jemanden Kosten und Nutzen verschaffen sind natürlich je nach Intensität der Beteiligung unterschiedlich hoch. Es kostet mehr Zeit und Mühe an einem Leitantrag zu schreiben als Beisitzer im Kreisvorstand zu sein. Es kostet mehr monatlich zu Treffen zu gehen, als einmal im Leben die Mitgliedschaft einer Partei zu beantragen. Wenn ich mir nun überlege, wo auf dieser Skala von bloßer Mitgliedschaft („Karteileiche“) hin zu aktiver täglicher ehrenamtlicher* Parteiarbeit nun das Mitgliederbegehren liegt, so würde ich es doch eher in Richtung Karteileiche ablegen: man wird einmalig befragt, es kostet nicht viel Zeit, es entsteht keine Folgeverpflichtung. Fast wie der Parteieintritt… Dies natürlich nun unter der Prämisse, dass man von dem Begehren weiß und den Inhalt kennt: die Informationssuche und die Abwägung von Argumenten bei Unentschlossenen kostet noch einmal Zeit und Nerven.

Also machen doch alle mit! Und wenn sie nicht mitmachen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass die Partei einfach nicht für Beteiligung gemacht ist! Oder?

Nein. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, warum Leute nicht mitmachen:

  1. Sie lehnen das Begehren (nicht das Thema) prinzipiell ab.
  2. Sie wissen nichts von dem Begehren.
  3. Ihre Kosten um mitzumachen sind zu hoch.

Gut, jemand der ein Mitgliederbegehren ablehnt wird wenn überhaupt nur zu hohen Kosten vom Gegenteil zu überzeugen sein. Nach einem Monat Erfahrung liegen diese Personen aber in vernachlässigbaren Größenordnungen. Einstellige Prozentzahl, maximal. Also zu den anderen Gründen: beide liegen in unser aller Verpflichtung. Wir alle – alle Parteimitglieder – tragen hier Verantwortung, in unterschiedlicher Abstufung.

Als einfache Genossin sollte ich, so wie es für mich möglich ist, mich über Parteigeschehen informieren. Da dies nicht allen gleichmäßig möglich ist (man denke an gestresste Managerinnen oder Rentner ohne Internetzugang) tragen Funktionäre Verantwortung dafür, Informationen weiter zu tragen. Landesvorsitzende, Kreisvorsitzende, Parteivorstand, Mitglieder der Parlamente – alle von anderen Parteimitgliedern gewählt und legitimiert sie zu vertreten. Aber dazu kommen auch Pflichten, zumindest nach meinem Empfinden: andere Mitglieder zu informieren, so dass diese selbstbestimmte Entscheidungen treffen können.

Und dort setzt das an, was nun das Kernproblem ist: die unterschiedliche Auffassung darüber, was das beinhaltet. Für einige bedeutet die Aufgabe andere zu informieren (von überzeugen rede ich hier noch gar nicht) ein paar Links weiter zu schicken, das Thema einmal anzusprechen oder auf einen Artikel zu verweisen. Wer etwas länger in Organisationen verbracht hat, weiß aber folgendes: große hierarchische Organisationen sind träge, wenn es um Veränderungen geht (ein Mitgliederbegehren in einer Partei. wo so was bundesweit etwa einmal im Jahrzehnt auftaucht, ist definitiv eine Veränderung, von der Etablierung regelmäßiger Mitgliederpartizipation ganz zu schweigen). Das war in dem Konzern so, in dem ich lange gearbeitet habe, das ist in der SPD nicht anders. Lean Management war nicht umsonst lange Zeit das Trendthema in der Organisationsberatung, und die SPD ist alles andere als lean gemanaget. Das muss kein Manko sein. Die SPD ist eben die SPD.

Nun muss man aber daraus schließen, was dies im Umkehrschluss bedeutet: träge Organisationen müssen mit Anreizen motiviert werden. Und bewegt werden. Ohne die Unterstützung oberer Hierarchien geht es nicht. Kurzum: ohne die Mit-Führung wichtiger Leitpersonen in der SPD wird es wohl nicht gehen. Ich meine damit nicht den Parteivorstand, nein, nicht nur (wenn auch ich eine Mail in einem begrenzten Verteiler immer noch nicht als aktive Unterstützung auffasse, aber es zeigt sich ja: es tut sich was). Ich meine die Personen, die eben auf Kreis- und Ortsvereinsebene leiten, führen, Vorbild sind. Die müssen andere antreiben, das Begehren zu thematisieren. Multiplikatoren sein. Und vor allem verstehen, dass sie hier die Möglichkeit haben, einen Nährboden für mehr Basisbeteiligung in der SPD zu bereiten.

Anfangs schrieb ich, das Mitgliederbegehren ist für mich persönlich faszinierend, motivierend, enttäuschend und angsteinflößend. Faszinierend, weil es spannend ist, das alles zu beobachten und zu lernen. Angsteinflößend, weil es nicht mehr in unserer Kontrolle liegt, wir aber echt viel Herzblut reinstecken und vor allem auch Zeit und Energie. Motivierend, weil ich diese Partei immer mehr lieben lerne. Und enttäuschend, weil es eben dann doch die gibt, die, obwohl als Führung gewählt, nicht führen, sondern Schultern zucken oder im schlimmsten Fall blockieren.

Ja, die gibt es. Die gibt es aber überall. Sollte uns nicht abhalten.

Lange Rede kurzer Sinn: ran an die Genossinnen und Genossen! Informiert sie, und ich meine damit nicht Flyer verschicken. Sprecht sie an. Fragt sie. Geht auf Veranstaltungen. Seid Vorbild. Schafft Anreize! Nur so wird sich etwas verändern.

tl;dr – ohne sich die Hände dreckig zu machen geht es nicht, passt auf beim gegen die Wände laufen und ein paar Schlüsse aus der Organisationstheorie treffen auch auf die SPD zu.

*ehrenamtliche Parteiarbeit deswegen, weil entgeltliche naturgemäß nicht auf dieser Skala liegen darf: man erhält schließlich eine Aufwandsentschädigung.

Veröffentlicht von

Die Frau für Dingens und Gedöns. Und was sonst noch so anfällt.

1 Kommentar

  1. Also ich schätze Dein politisches Engagement sehr, auch wenn es Differenzen gibt. Weiter so!
    Ein paar vielleicht banale Anmerkungen:
    ÖKonomisch betrachtet macht Politik nur für Berufspolitiker (im negativen) Sinn. Also ohne Leidenschaft kann man es auch bleiben lassen. Mit einem MGB stemmst Du natürlich ein großes Anliegen, da es Dir persönlich offensichtlich auch besonders wichtig ist. Aber VDS ist weder ganz oben auf der politischen Tagesordnung noch ein Lieblingsthema der Parteispitze. Du lernst, wie man merkt, politisch durch das Ganze eine Menge. Diese Erfahrungen kannst Du in künftiger politischer Einflussnahme sicher gebrauchen. Das soll weder großväterlich klingen noch bedeuten, dass das MGB versandet. Aber falls doch, ich wiederhole mich, nicht verzagen, Mund abwischen und Lehren draus ziehen, solange Du (im wesentlichen) Freude dran hast!

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