Gedingst

28 years later

cremant28. Vor ein paar Wochen stellte ich mit einer Freundin, die etwa einen Monat vor mir Geburtstag hat, bereits fest, dass diese Zahl so ganz anders ist. Nicht nur liegt sie gefährlich nahe an der 30, nein - aus irgendeinem Grund habe ich als Teenie mit 28 immer das erste Kind, ein Haus und den Mann fürs Leben mitsamt Ring am Finger verbunden. Den dröppelig dreinguckenden Golden Retriever mal nicht erwähnt.

Als Scheidungskind hatte ich vielleicht eine besondere Sehnsucht nach Sicherheit in Form von Bausparverträgen, Eheverträgen und Arbeitsverträgen. Und klar, irgendwie wollte ich auch nie eine von diesen „alten“ Müttern sein. Nun Mina, suck it up. Daraus wird nix mehr.

Morgen werde ich 28, und die erste gemeinsame Wohnung mit dem ersten Partner, den ich für würdig genug erachte um wirklich komplett alles mit ihm zu teilen ist die derzeitige Zwischenbilanz. Meine Orchideen sind das, was einem Golden Retriever am nächsten kommt, und überhaupt, wenn hätte ich sowieso lieber einen Rottweiler oder Shiba Inu und keinen treudoofen Golden Retriever mit viel zu langem Fell. Meine Promotionsphase gleicht den chaotischen Erstsemestlern die keine Ahnung haben was sie eigentlich studieren wollen oder sollen oder können, und meine Zeiteinteilung ist ein täglicher Kampf gegen Prokrastinationsverlockungen auf Twitter, Tumblr und all diesen tollen Seiten in diesem Internet. Meine erste PlayStation habe ich mir vor anderthalb Jahren gekauft und ich fangirle über neue Alben der Lieblingskünstler immer noch genauso - oder mehr - wie mit 18, 22 und 25. Ich habe mit Nick Miller aus New Girl und seinem Zombieroman mehr gemeinsam als mit meinen ehemaligen Mitschülerinnen.

Der Gedanke daran, jetzt ungewollt schwanger zu werden führt zu Magenkrämpfen wie sie sonst nur nach Dschungelprüfungen auftauchen, und generell, ich habe erstmals eine Ahnung davon, was es bedeuten könnte, ein eigenes Leben in die Welt zu setzen. Der naiv glänzende Lack der Welt ist ab und langsam und stetig grundiere ich sie mit einer großen Portion Realismus neu, nur damit ich - mal wieder - neu anfangen kann und sie in all den Farben streichen kann, die mir heute oder morgen oder nie gefallen oder auch nicht. Ja, ich bin in der Hinsicht erwachsen geworden, dass ich ein Konzept davon habe, was für Rechte und Pflichten ein Mensch im Leben so hat, was das wirklich bedeutet: Verantwortung zu übernehmen, aber, und das ist neu bis überraschend, ich kann mir selbst aussuchen, ob ich dem folge oder nicht. Ich entscheide selbst, was meine Prioritäten sind, und momentan liegen sie eben bei Forschung, Alben, Spielen, Konzerten, Büchern, Reisen, und nicht bei Teamleitung, Golf, Tennis, Weinproben, Küchenmöbeln oder Krabbelgruppen.

Aber hey, vielleicht werden sie das auch nie tun. Wer weiß. Vielleicht bin ich einfach so und werde mit 35 Kopfumspannende Kopfhörer für mein Kleinkind kaufen, damit es auf das erste Foo Fighters Konzert ihres/seines Lebens mitkommen kann. Vielleicht werde ich nie ein Haus bauen, vielleicht werde ich nie (wieder) einen 9 to 5 Job in einem Unternehmen haben und zu geregelten Arbeitszeiten meinen Aufgaben nachgehen. Vielleicht werde ich nie einen Hund haben. Okay, das ist unwahrscheinlich. Aber vielleicht werde ich auch mit 50 alleine in Norwegen in einer Blockhütte mit zwölf Katzen enden und irre Romane unter Alias schreiben. Wer weiß.

So oder so: fast 28, und ich lache der Zahl und meinen Teenagerträumen ins Gesicht. Keine Angst vorm älter werden, nur unglaubliche Lust aufs Leben.

Und jeden Tag male ich mir neu aus, mit Farben die Franz Marc Tränen in die Augen treiben würden.

 

  • arno nühm

    Danke für den Text. Finde ich bewundernswert wie du damit umgehst. Ich gehe auf die Mitte 30 zu und habe nichts von dem was ich mir für Ende Zwanzig vorgestellt hatte. Partner, Haus, Hund, Kind. Mir macht das Angst und ich verdränge es.

  • http://vieleineinemblog.wordpress.com C.Rosenblatt

    Hach, weißt du wie das klingt? Wie eine Liebeserklärung ans Leben und dich selbst :-)

  • http://lauradornheim.de Laura

    <3
    Ich werd dieses Jahr 30. Und mir gehts genauso.
    Und ich wünsche uns, dass es uns immer so geht.
    Das Leben ist ein gutes.
    (fast immer)

    • Mina

      <3

  • https://twitter.com/soxundxso Sonja

    Mina, danke! Danke für diesen Blog und danke für die letzten zwei so positiven Absätze.

    Mir geht es ähnlich. Auch bei mir leuchtet die 28 schon am Horizont, noch in weiter Ferne, sich aber stetig nähernd, beängstigend schnell.
    Ich dachte einmal, mit 18 ist man erwachsen. Mit 18 war ich alles, nur nicht erwachsen. Hey, heute fühle ich mich immerhin älter als 18 ;), aber fast 30, 30, DREISSIG, um Gottes Willen…
    Die 18 war magisch und ja, die 28 ist es irgendwie auch. Auch ich habe mir vorgestellt, mit Mitte 20 Mann und Kinder zu haben, einen sicheren Job, von dem ich gut leben kann, ein Haus in einem Vorort, einen Garten mit Gemüsebeet, einen Hund, selbstverständlich einen Hund. Aber wie sagt man so schön? Meistens kommt es anders…
    Ich habe keinen Hund. Ich habe kein Haus, sondern eine winzige Wohnung mitten in der Stadt und das nicht einmal mehr mit meinem Partner zusammen - weil es der Job nicht zuließ. Der Job, von dem ich keinesfalls eine Familie ernähren könnte, selbst bei der Miete für das kleine Loch, das kein Haus mit Garten ist, wird es schon eng. Aber was tut man nicht alles, wenn man von der Uni kommt, den Abschluss und jede Menge Träume in der Tasche, aber ohne Berufserfahrung. Ein Zustand, der keineswegs fehlendem Engagement, sondern schlichtweg der Realität geschuldet ist. Un- bzw. schlecht bezahlte Praktika, obwohl man doch sein WG-Zimmer und die Unibücher finanzieren muss? Ähm. Nö. Da steht man doch lieber nachts an der Kinokasse und räumt im Supermarkt Regale ein. Und im nächsten Moment steckt man als unterbezahlter Hochscholabsolvent in einer Berufseinsteigerstelle und ernährt sich wie im ersten Semester.
    Kein Haus, kein sicherer Traumjob, keine Kinder, keine Ehe. Aber einen Partner, auf den man sich hundertprozentig verlassen kann. Mit dem man auch Situationen überwindet, die man sich so nie gedachte hatte. Das ist doch was! Und so stimme ich dir voll und ganz zu - man sollte einfach leben. Denn dafür ist das Leben da.
    Und wenn man es wagt, die rosarote Traumbrille abzulegen und tief in seiner Innerstes zu blicken, stellt man möglicher Weise fest, dass es eigentlich auch gut ist, wie es ist. Wäre es nicht langweilig, ein Leben zu führen, dass sich ein naiver Kinderkopf einst zurechtmalte? Ist es nicht viel aufregender, immer wieder neue Farben zu finden und das Traumbild von einst immer und immer wieder umzugestalten?
    Eigentlich gefällt es mir, dass mein Lebesbild noch längst nicht fertig ist und ich noch ein bisschen malen darf. Wer weiß, welche Töne ich noch finden werde? Ich werde es herausfinden.

    • Mina

      Hach ja. So viele haben jetzt schon geschrieben, dass sie sich das eigentlich anders vorgestellt haben, aber es geht nicht - zu wenig Geld, zu lange Ausbildung, zu wenige Chancen. War das früher einfacher? Wie haben unsere Eltern und deren Eltern es gemacht?

      • http://vieleineinemblog.wordpress.com C.Rosenblatt

        Vermutlich war es bei ihnen ähnlich- nur ersetzt durch die Statusideale ihrer Zeit?

        Oder es ist immer gleich?
        Der gleiche Wunsch nach „dann bin ich groß und alles ist geschafft“?

        Man könnte ja auch fragen: Was wirst du als RentnerIn tun?
        Vermutlich gibt es ähnliche Vorstellungen zu jedem Lebensabschnitt?

  • Sissi

    Da der Eintrag von gestern ist, hast Du demnach heute Geburtstag … also erstmal alles Gute.

    Gefährlich nahe an der 30? Ja, das liegt die 28, aber jetzt, wo mir nur noch eine Woche bis zur 30 bleibt, scheint die 28 vor sehr langer Zeit gewesen zu sein. Die „kindliche“ Planung sah bei mir auch anders aus, als die Realität es geliefert hat. Anstatt einen festen Job nach Studium und Promotion zu haben, sind es dann doch zwei Studiengänge geworden und die Promotion ist erst zur Hälft geschaft.
    Ich denke öfter mal darüber nach, wie mein Leben wohl wäre, wenn einige Dinge ander verlaufen wären, wäre es wirklich besser? Eigentlich nicht, da man viele Entscheidungen auch aus guten Gründen getroffen hat, aber das würde ich sicherlich genauso sehen, wenn mein Leben nach Plan verlaufen wäre, ergo es ist gut so, wie es ist. Wenn es das nicht wäre, sollte ich auch dringend etwas ändern.

    Früher hatte man noch diesen Plan für die Zukunft, mittlerweile habe ich keinen mehr. Wozu auch, es kommt ja sowieso anders. Natürlich hat man einige Eventualitäten abgesichert, aber man plant ja z.B. eher nicht arbeitsunfähig werden.
    Was bald kommt ist die so verteufelte 30, dann darf man auf „Gammelfleisch-Parties“ gehen, wie die Ü30-Veranstaltungen von der Jugend genannt werden. Im Umfeld heiraten nach und nach immer mehr, die Prioritäten verschieben sich und bei ein paar werden die Kinder bald zu Teenagern.

    Wenn ich mich dann zurückerinner, wie ich früher 30jährige gesehen habe, bin ich heute weit davon entfernt, ich habe auch gar keine Lust so zu werden. Kindheit ist etwas wunderbares, warum sollte ich sie also komplett abgeben? Nein, das sehe ich gar nicht ein, die Welt sieht durch Kinderaugen gleich viel schöner aus und man darf den Realismus auch ruhig mal abstellen und träumen. Sicherlich kommen neue Rechte & Pflichten hinzu, die man auch zu schätzen weiß, aber deswegen gebe ich noch lange nicht alle schönen Seiten der Kindheit ab, dass zumindest möchte ich auch in Zukunft beibehalten, für den Rest lasse ich die Tür offen.

  • Schorsch

    Apropos Promotionsphase, da gibt es eine schöne Tabelle, wer wen wie wahrnimmt: http://sotak.info/sci.jpg