[Das] Märchen von der gelungen Emanzipation und dem mißlungenen Frauenglück hält sich seit Jahren hartnäckig. Auch unter Frauen. Dabei gibt es wohl weder den Fort- noch den Rückschritt, weder die gelungen noch die mißlungene Frauenbefreiung, sondern schlicht beides: Veränderung und Stillstand. Frauen sind nicht in den Himmel weiblicher Freiheit gelangt, sondern ins alltägliche Fegefeuer eines zermürbenden Kleinkriegs der Geschlechter. (…)
Der Feminismus ist keine Heilsbotschaft und schickt keine Erlöserinnen, aber seine Themen haben sich auch nicht erledigt. (…)
Schwesternstreit? - ja bitte! Wie sonst lassen sich Erstarrungen aufbrechen und festgefahrene Debatten neu eröffnen?
- Bascha Mika (1998): Alice Schwarzer, Eine kritische Biographie, S.18
Als ich diese Worte in Bascha Mikas Biographie von Alice Schwarzer las, musste ich schmunzeln. Gleichzeitig durchfuhr mich eine Bitterkeit. Selten habe ich wahreres über Feminismus und Feminist_innen gelesen, selten hat es besser gepasst.
Wo stehen wir in Deutschland 2013 mit Frauenbewegung, Feminismus, Aktivismus? Wie sieht die berühmt-berüchtigte „Szene“ aus, wie sind wir aufgestellt, und wo geht es hin? Seit Wochen zerbreche ich - und ich weiß auch viele andere kluge Frauen und Männer - mir den Kopf darüber. Ich war jahrelang fast so etwas wie eine Anti-Feministin. Feminismus fand ich überholt und verquer, Quote schwachsinnig und unnötig, die Diskussionen entweder hysterisch oder verkopft. Dann las ich in Thomas Schwinns Buch zu sozialen Ungleichheiten, und es öffnete mir die Augen. Ich begann vieles zu überdenken, neu zu sehen. Dann kam #aufschrei. Frauen, die mir vorher unnahbar vorkamen, diese beunkte „Szene“, öffneten solidarisch ihre Arme, teilten ihre Geschichten und Erfahrungen. Unabhängig von Followerzahlen, „Popularität“, oder sonstigen oberflächlichen Kategorien, waren sie einfach da. Eine Zeit lang gab es keine Strömungen, es gab uns, unsere Solidarität unter einander, wortloses Verständnis. Ich war zu Hause.
Die Wochen und Monate vergingen. Der Medienhype legte sich, Aktionen wurden gestartet, neue Gruppen bildeten sich, meist aus dem einfachen Grund, dass man sich eben etwas besser „kannte“ - so man das halt im Internet sagen kann. Ich blicke immer noch nicht durch alle Strömungen durch. Und sie sind wertvoll. Für uns alle. Mit Spannung verfolge ich die Critical Whiteness Debatten. Und wenn ich mich nicht dazu äußere, dann aus tiefstem Respekt vor dem Thema und der Unsicherheit darüber, etwas falsches zu sagen. Sich selbst immer wieder zu reflektieren, die eigenen, alten Standpunkte zu überdenken, ist manchmal schwer, aber oft unglaublich befreiend. So bin ich dankbar über die „alten“ und „neuen“ Feminist_innen, Menschen die bei Emma und der Mädchenmannschaft seit Jahren die Stellung halten. Ein kleines bisschen dankbar bin ich auch Femen - und es tut mir in der Seele weh, wenn ich ihre kruden Äußerungen lese, von denen ich mich einfach distanzieren muss.
Was allerdings schmerzhafter für mich ist, ist der Umgang untereinander. Diskussionen mit Maskulisten und Anfeindungen durch Berufshater zermürben, die oberflächliche Darstellung durch Journalist_innen mit ihren eigenen Agenden und/oder Vorurteilen nimmt Kraft. Niemand hat Lust, immer wieder alles zu erklären. Niemand hat Kraft, auf jede Kritik charmant und verständnisvoll zu reagieren. Das hat nichts mit Feminismus zu tun. Das ist menschlich. So kann ich auch Sticheleien verstehen. Sie sind Ventil für Frust, Wut, Enttäuschungen. Ich kann es verstehen, sich über Menschen aufzuregen, die eigene Positionen nicht teilen - vor allem, wenn sie Teil derselben Bewegung sind. Ich kenne das aus der Parteiarbeit sehr gut. Jemand, der in der SPD die VDS befürwortet, tut mir sehr viel mehr weh, als jemand aus der CDU. Dem liegt ein höherer Anspruch an uns alle zu Grunde. Damit verbunden ist jedoch ebenfalls ein Zutrauen, sich auf die andere Position einzulassen - und geschieht das nicht, sind wir enttäuscht.
Dies soll kein Text werden, der Strömung X gegen Gruppe Y abwägt. Ich weiß nicht mal, ob ich mich irgendeinem Teil davon zugehörig fühle - ich bin in den Feminismus reingestolpert, und versuche immer noch mich zu orientieren. Ich möchte einfach meine Solidarität aussprechen. Am Ende haben wir alle dasselbe Ziel: eine gleiche, besser Welt. Mehr, gleiche Chancen für Frauen. Ob durch Online-Aktionen, intersektionale Debatten, ob durch Demos oder Diskussionsrunden im Fernsehen - alles führt letztendlich dazu, das Thema in der Gesellschaft präsent zu halten - denn das ist nötiger denn je, in einer Zeit, in der meine Generation mit der Überzeugung aufwuchs, Feminismus wäre ja eigentlich nicht mehr nötig. Die Gesellschaft ist vielschichtig, Menschen sind unterschiedlich - unterschiedliche Personen erreicht man durch unterschiedliche Wege. Manche reagieren auf persönlichen Erfahrungsaustausch. Manche auf Humor. Andere auf Wissenschaft. Alle Wege und Mittel sind gleichermaßen wichtig, so wie alle Menschen, die wir erreichen wollen, gleichermaßen wichtig sind. Wir sollten uns alle dabei unterstützen - und kritisieren. Und die Kritik als das verstehen, was sie ist: konstruktive Anregungen unter Verbündeten. Dazu sollten wir alle darauf achten, sie entsprechend zu formulieren und anzunehmen. We’re in this together.
Ich habe noch niemanden getroffen in dieser unglaublich großen Menge an tollen feministischen Menschen, die sich nicht immer wieder hinterfragt. Wir sollten uns selbst gegenüber versöhnlicher sein. Wir machen Fehler. Wir lernen daraus. Die Gesellschaft ist nicht gerade für uns - und so bleiben nur wir untereinander als Kompliz_innen. Wir haben viele, viele Unterstützer_innen, die stumm beobachten und uns von den Seitenlinien anfeuern, ohne Blog oder Twitteraccount. Das dürfen wir nicht vergessen. Auf jede „sichtbare“ Feministin kommen dutzende unsichtbare. Auch hier sollte es Bestrebung sein, die Vielfalt der Bewegung sichtbar zu machen. Dies braucht manchmal Zeit und Vertrauen. Wie viele weiter geleitete Interviewanfragen ich aus Angst oder Zeitmangel bereits abgelehnt habe, weiß ich nicht mehr. Das sich-Bewegen im Medienzirkus ist schwierig und mit Nutzen abzuwägen. Doch wir sollten uns auch daran erinnern, dass es nur eine Person in Deutschland gibt, die mit dem Thema Feminismus derzeit einen Blumentopf gewinnen kann: Alice Schwarzer. Für jede andere Frau ist das Thema eher Stempel statt Auszeichnung. Wenn sich eine von uns freiwillig ins Rampenlicht begibt, dann mit der tiefsten Hoffnung, dadurch etwas zu verbessern. Vielleicht ist das manchmal naiv. Andererseits würden das manche auch über den feministischen Glauben an eine Möglichkeit der völligen Gleichberechtigung von Mann und Frau sagen. Hoffnungslose Naivität und unerbitterlicher Idealismus sind unsere Waffen. Wir sollten sie uns nicht gegenseitig aus den Händen nehmen.
Bascha Mika endet ihre Einleitung mit einem Zitat von Alice Schwarzer (S.20f):
…einen Menschen, den ich ernst nehme, messe ich an seinen Möglichkeiten, ihm gebe ich die Chance einer (offenen!) sachlichen Kritik, statt ihn der Demontage einer (heimlichen) unsachlichen Häme auszuliefern.
Auch wenn Alice Schwarzer sich nicht mehr an ihren Leitsatz erinnern zu scheint, so sollten wir ihn uns zu Herzen nehmen und uns immer wieder daran erinnern: we’re in this together.
<3


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