Die Sonne brennt, der Schweiß rollt langsam die Schläfen herab, und ein Prisma stopft das Sommerloch: Deutschland 2013. Während die Deutschen ihre Rasenmäher um ihre kleinbürgerlichen Gartenzwerge bewegen, ruft „Die Welt“ den Tugendterror aus, und Kristina Schröder trägt ihren Teil zur Bildung junger Menschen bei, in dem sie das rhetorische Mittel des Oxymorons verschriftlicht: modern und konservativ, das ginge, sie habe hier 15 Punkte aufgeschrieben. Am Ende der Liste: sie selbst. Woanders erklärt Marusha, was zu viele Partydrogen und schlechter Techno verursachen: sie fordert Schwarz-Grün. Modern und konservativ, oder so. Nebenbei fahren gleich mehrere Zeitungsverlage ihre entsprechenden Kampagnen, und die FAZ Redaktion tut entsetzt, dass man mit 3009 Euro netto/Monat bereits reich ist.
In einer Zeit, in der „Vollbeschäftigung“ in Deutschland dank lustiger Rechnereien der Arbeitsagenturen in erreichbarer Weite liegt, ändern sich seit Jahren schleichend aber sicher die Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt. In Deutschland ist der Wandel zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft so gut wie vollzogen: 2010 waren 71% der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor beschäftigt (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012: 22). Folglich erhalten Anforderungsprofile an Bewerber_innen, die „analytisches Denken, Kommunikations- und Problemlösungskompetenzen“ betonen, stärker an Bedeutung. Die typischen, überwiegend körperlich tätigen „Arbeiter_innen“, welche die SPD so gerne vertritt vertreten will und als einzige Gruppe mit gut gestellten Lobbygruppen (Gewerkschaften) auf dem Arbeitsmarkt agieren kann, gibt es in diesem Sinne zwar noch, sie spielt aber eine vergleichsweise kleine Rolle.
Was dagegen eine große Rolle spielt, sind eine Fülle sogenannter „atypischer“ Beschäftigungsformen: z.B. Leiharbeit, Teilzeit <31 Stunden, geringfügig oder befristet Beschäftigte. Die Geister, die man zu Anfang der Jahrtausendwende und dann erneut zur Abwendung der Wirtschaftskrise rief, wollen einfach nicht mehr gehen. Gerade junge Leute, die neu in Jobs einsteigen, finden nur befristete Stellen oder müssen Praktikum nach Praktikum absolvieren, in einer Szene, in der 300 Euro/Monat für eine 40 Stundenwoche Praktikumsstelle in den gut bezahlten Bereich gehört. Doch diese atypische Beschäftigung trifft nicht nur gut ausgebildete, junge Menschen, die neu auf den Arbeitsmarkt drängen: unter der Gruppe der Beschäftigten ohne Ausbildung und im tertiären Sektor finden sich die höchsten Anteile atypisch beschäftigter Arbeitskräfte (vgl. IAB Handbuch Arbeitsmarkt 2013: 44). Bei Frauen haben atypische Beschäftigungsformen die normale Beschäftigung seit 1991 längst überholt, ihr Anteil verdoppelte sich sogar.
Eine Einschränkung der Leiharbeit, wie von der SPD gefordert, und flächendeckender Kitaausbau mitsamt kostenfreien Kitaplätzen, sind keine sozialdemokratische Wahlkampfromantik, sondern bitterer Ernst. Überlebenswichtig, nicht nur für viele Arbeitnehmer_innen, sondern auch Unternehmen. Bereits 2008 wurde 24% des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens durch atypische Beschäftigung erwirtschaftet, gar 39% aller Arbeiternehmer_innen waren atypisch beschäftigt. Das ist mehr als jede Dritte. Von einem Durchschnittseinkommen von 30.000 Euro/Jahr können diese Personen nur träumen, aber richtig beschweren können sie sich auch nicht - sie sind ja beschäftigt. Wenn auch nicht richtig. Atypisch halt. Ganz modern und konservativ, ne!
Und so lullen sie uns weiter ein, was für ein tolles, fittes, gesundes Land wir doch seien, und wie gut es doch sei, wenn ein Fach nicht Sachkunde, sondern Sach- und Heimatkunde hieße. Es fehlt nur noch, dass Kristina Schröder mit Angela Merkel Hand in Hand die Almwiese herunter steigen und „Franzl, Franzl“ „Brüderl, Brüderl“ rufen. Sissi Schröder und die deutsche Kaiserin Merkel, im modernen Konservatismus vereinigt. Bei DSDS singen die Teilnehmer_innen derweil nicht mehr nur Popsongs sondern auch Schlager, und Heino covert Rammstein. So edgy. So konservativ. So modern…
Nein, modern ist das nicht. Modern wäre, das Ehegattensplitting abzuschaffen, statt es auf alle Lebenspartnerschaftsmodelle auszuweiten. Modern wäre, Kindergärten allen anzubieten, kostenlos, anstatt Betreuungsgeld für die Wahlzielgruppe einer religiös-konservativen Volkspartei einzuführen. Modern wäre, allen Menschen die Möglichkeit auf richtige Beschäftigung zu gewähren, von der sie leben können, in Form von Mindestlohn oder Geschlechterquote, und nicht die Light-Modelle der Regierung. Modern wäre, Europa als Chance wahrzunehmen, und nicht als Bedrohung nationalstaatlicher Interessen, so wie 1871. Modern wäre, sich nicht von einem diffusen Bedrohungsgefühl Angst machen zu lassen, sondern unsere Selbstbestimmung und Freiheit zu verteidigen - modern wäre also, VDS und Prism, und was noch alles kommt, abzuschaffen, und nicht in moderaten oder anders verarteten Formen einzuführen. Modern wäre, diese Regierung abzuwählen, und ihre Copycat-Merkel gleich mit.
Egal, wie sehr sie es alle versuchen: die Union wird nicht modern, wie soll sie auch, ihre Chefin schläft und kopiert und im Zeitgeist hängen sie in den 1960er Jahren. Die Union ist konservativ, und das sollten wir als das erkennen, was es ist: alt, verstaubt, elitär, den jeher mitgebrachten Altvorderen dienend. Konservativ ist nicht modern, ist nicht cool. Da hilft es auch nicht, die Inhalte der anderen zu covern, Heinoesque: es bleibt eine Mogelpackung.
Der Sommer lullt ein, der Sommer ist schwül.
Aber gewählt wird im Herbst.
Siehe auch: Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildungsbericht 2012, 2012; IAB: Handbuch Arbeitsmarkt 2013, 2012


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