Am Samstag war die Openmind Konferenz, kurz #om13, in Kassel. Teilnehmer_innen verschiedener Parteien diskutierten über Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kunst… und das alles sehr konstruktiv, freundlich und tolerant. Jasna Strick hat einen Vortrag über Hate Speech gehalten, in dem sie Screenshots von Erniedrigungen, Bedrohungen und Beleidigungen zeigte, die feministische Aktivist_innen im Laufe der letzten Monate bekamen. Teils ist das harter Stoff, wenn da z.B. eine Schwangere bedroht wird. Der Vortrag verlief sehr ruhig, und über große Teile lässt Jasna die Kommentare einfach für sich sprechen. Ansehen kann man das ganze hier.
Was im Nachgang passierte ist ein Lehrstück für sich. Lehrsam, weil es viel über anti-feministische und frauenverachtende Strukturen offen legt, lehrsam, weil es zeigt, wie durch bestimmte Narrative manipuliert wird. Ich versuche im Folgenden die Mechanismen auseinander zu dividieren.
1. Doppelstandards.
Ein Teil der Kritik an Jasnas Vortrag lautete, dass Twitternamen und -fotos von Hatern öffentlich zu sehen waren. Es wurde verlangt, Beiträge auszublenden oder den ganzen Vortrag runterzunehmen - interessante Forderungen einer Gruppe, die Blocken als Zensur bezeichnet. Dabei wird augenscheinlich verdrängt, dass alle mit #aufschrei getaggten Replies ohnehin auf verschiedenen öffentlichen Seiten zu sehen sind oder waren und mit dem bewussten Benutzen eines Hashtags auch gezielt auffindbar gemacht wurden - von den Verfasser_innen selbst. Weiterhin wird verschwiegen, dass eben diese Hater oftmals Links zu Seiten wie Berufszyniker.com verbreiteten, eine Seite, die mittlerweile offline ist (einen Teil kann man noch hier nachlesen) und mit viel Mühe Klarnamen, Arbeitgeber_innen und ehrenamtliche Tätigkeiten verschiedener Frauen gegen ihren Willen auflistete. Eine ganz andere Dimension, als selbstgewählte Twitterpseudonyme und -profile, bei denen selbst Namen und Bilder nicht einwandfrei zu verfizieren sind, zu screenshotten.
2. Es trifft immer die Frauen
Eine im Vortrag zitierte Frau berichtete kurz darauf, dass sie Drohungen erhalten hätte auf Grund der Sichtbarkeit ihres Tweets im Vortrag. Diese Drohungen schienen sich nicht auf Twitter abzuspielen, sondern im nicht-öffentlichen Raum. Es ist bemerkenswert, dass in einem Vortrag, in welchem so viele Aussagen verschiedener Personen vorgestellt wurden - und eben nicht bewertet wurden - dann die Frau herausgepickt wird, um angegriffen zu werden. Aus welchem Umfeld die Drohungen kamen ist derzeit noch unklar, verurteilt wurden sie sofort von allen aktivistisch und Konferenz-Beteiligten. Eine Mit-Veranstalterin bot Unterstützung per Mail an und drückte ihr Bedauern aus. Wie es sein muss.
Androhung von Gewalt und/oder Vergewaltigung sind von niemand gegen niemanden okay!
— Faselpiratin (@Faserpiratin) August 29, 2013
3. Erbsünde Feminismus
Obwohl es nun eine Frau traf, die sich Drohungen ausgesetzt sah und damit ähnliche Erfahrungen wie diejenigen machte, an welche die vorgestellten Hass-Tweets gerichtet waren, griff hier ein anderes Narrativ. Fast sofort wurde der Vorfall so geframet, dass gezielt (falsch) verkündet wurde, die Drohungen kämen aus dem #om13 oder #aufschrei Umfeld. Man würde sich auf eine unschuldige junge Frau einschießen. Dass die Beteiligten selbst über Monate mobbten, drohten, beleidigten, fällt wieder unter den Mechanismus „Doppelmoral“. Und noch einen Schritt weiter: durch gezielte Täter-Opfer-Umkehr wurde Jasna beschuldigt, gehetzt zu haben und an den Pranger gestellt zu haben. Dieser Mechanismus stützt sich im Wesentlich darauf, dass jede Person, die mit Feminismus in Verbindung gebracht wird, zur Diffamierung freigegeben wird - wer feministisch ist, der glaubt man nicht. Das konnte man bspw. dann beobachten, als anti-feministische Personen Onlinemedien anschrieben um Feminist_innen als Lügner_innen zu brandmarken. Für die Partei der Piraten reicht es hier schon, einen Vortrag über frauenfeindliche Hate Speech zugelassen zu haben. Die Pirat_innen würden sich auf eine Frau stürzen. Teile der Piratenpartei taten genau dies - indem sie Jasna angriffen.
4. Narrativ Unschuldslamm
Sowohl die Drohungen an @ochdomino als auch die Hate Speech, die Jasna vorstellte, sind für sich genommen jeweils schreckliche Ereignisse. Ein interessanter Mechanismus ist, dass die Wahrnehmung durch das Narrativ „einer Frau gegen eine überwältig große Gruppe von Pirat_innen und Aktivist_innen“ von ihren vorherigen Taten so weit verändert wurde, dass der eigentliche Grund für Jasnas Vortrag - Hate Speech von anti-feministischen Gruppen - vollkommen in den Hintergrund trat. Es fand eine Reinwaschung und nachträgliche Legitimierung statt. Indem wieder einmal erzählt wird, dass feministische Gruppen eine für sich stehende Frau bedrohen, zensieren und anprangern würden, werden so vorher getätigte abfällige Aussagen (vermeintlich) legitimiert. Im Sinne von: guckt, die sind so böse, sie hatte schon recht mit ihren Äußerungen. Verstärkend hinzu kommt das Framing als „moderate Kritik“. Zur Erinnerung: es ging um Bezeichnungen als „Hipster-Fötzchen“, Frauen wurden als „faschistoid“ bezeichnet, und wenige Stunden nach dem #om13 Vortrag gab es noch ein „fette XYZ“ in Richtung Jasna. Bedauernswerterweise sind die Blogposts von @ochdomino zu #Aufschrei gelöscht, liegen mir aber in Teilen noch vor. Es ist insofern bedauerlich, dass hier keine transparente Aufarbeitung mehr stattfinden kann. Beim auslösenden S-Bahn Vorfall im Mai, nach welchem @ochdomino titelte, dass Feministinnen #aufschrei kaputt machen würden, kann die Veränderung des Narrativs bereits beobachtet werden:

(Der Twitter-Screenshot liegt mir auch unverpixelt vor, und der untere Screenshot ist aus dem Webarchiv von kleines-scheusal.de)
Zusammen mit den Mechanismen „Erbsünde Feminismus“ und „Doppelmoral“ werden Aktivist_innen und die Dinge, die sie erleben, wieder unsichtbar gemacht. Es passt genau ins Bild der feministischen Weltverschwörung, in der irgendwelche „Radikal-Feministinnen“ andere Frauen unterdrücken und Männer hassen. Worum es eigentlich ging - monatelanges Mobbing, Drohungen, Beleidigungen - wird relativiert und somit weggewischt. Auch die sofortige Distanzierung und das Hilfeangebot per Mail wurde verschwiegen, da es nicht ins Narrativ der hetzenden feministischen Szene passte. Dies ist ein bekannter Vorgang und wahrlich nichts Neues.
Was neu ist: wie sehr sich eine Partei hat verrückt machen lassen. Und dies war clever von Seiten der Anti-Fems: kurz vor der Bundestagswahl mal eben ein Gate bei der Piratenpartei heraufbeschwören und alle kirre machen. Durch Unbeteiligte, die wohl ohne ausreichende Kenntnis der Szene kurzschlusshandelten und den Vortrag auf privat setzten, steigerte sich alles weiter hoch.
Was bleibt.
Die deutsche anti-feministische Szene bedroht, beleidigt, diffamiert seit Monaten öffentlich und privat feministisch Aktive. Anscheinend wurde dies nicht sichtbar genug gemacht, wenn sich große Teile von Unbeteiligten so leicht manipulieren lassen. Offensichtlich muss noch deutlicher gemacht werden, wie oft Arbeitgeber_innen angeschrieben, angerufen und angeschrieen werden, dafür, dass sie Feminist_innen beschäftigen. Ganz dringend müssen wir noch lauter darauf aufmerksam machen, wenn Hater sich wünschen, dass Schwangeren etwas passiert und Frauen mit Vergewaltigung gedroht wird. Es muss begriffen werden, dass dies nicht irgendwelche harmlose Trolle im Internet sind, die keine Auswirkung auf das „echte“ Leben haben - sondern dass dieses Netzwerk von Anti-Feminist_innen Menschen verändert und beeinträchtigt. Das wichtigste ist jedoch, dass vielleicht alle verstehen, wie viel Anti-Feminismus eigentlich kaputt macht: es schadet allen Frauen, egal ob Nicht-Feministin, Feministin oder Anti-Feministin.



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