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Dr. Prokrastination

Vor ein paar Wochen gab es irgendwo Artikel über Promovierende, und warum sie das tun was sie tun. Aus Liebe zur Wissenschaft, aus Liebe zur Forschung, usw. usf., nicht unbedingt für Karriere oder ähnliches. Ich schreibe “irgendwo”, weil ich mich nicht genau erinnern kann wo (ich glaube, es war die Zeit), und mich nicht traue es zu googlen. Wenn ich es google, werde ich wieder irgendetwas anderes finden. Darauf klicken. Dann darauf. Dann werde ich den Ursprung in meinen Tabs suchen, automatisch auf Tumblr oder Tweetdeck klicken, dort lesen, antworten, schreiben. Dann ist der Tag vorbei und dieser Artikel sitzt immer noch offen in diesem Tab.

Meine Prokrastination hat mittlerweile schlimme Ausmaße angenommen. Nein, das ist nicht süß, in dieser Art von “oh, guck mal ein Eichhörnchen!”. Nein, meine Prokrastination ist mir so in Leib und Knochen über gegangen, dass ich teilweise keine Erinnerungen an Tage oder Wochen habe, weil alles, was ich in der Zeit gemacht habe, ohnehin dasselbe war: Internet, Musik, Serien, Spielen, Internet. Ab und zu sind mal Tage dazwischen, an denen ich in der Bibliothek war und etwas schrieb, auf die bin ich dann ganz besonders stolz, und belohne mich wieder mit ein paar Tagen Nichtstun.

Während ich heute so schön nichtstat, in dem Fall auf Tumblr, fand ich ein Zitat, dann einen Artikel, und seit dem bin ich gleißermaßen niedergeschlagen, verzweifelt und sauer, dass ich nicht genau weiß, wohin damit.

It turns out procrastination is not typically a function of laziness, apathy or work ethic as it is often regarded to be. It’s a neurotic self-defense behavior that develops to protect a person’s sense of self-worth.

You see, procrastinators tend to be people who have, for whatever reason, developed to perceive an unusually strong association between their performance and their value as a person. This makes failure or criticism disproportionately painful, which leads naturally to hesitancy when it comes to the prospect of doing anything that reflects their ability — which is pretty much everything. [x]

Und ja. Ich bin nicht faul. Sonst hätte ich nicht so viele Dinge schon getan, sonst hätte ich nicht so viel Bock und Motivation Neues zu starten. Ich bin ehrgeizig. Aber diese Promotion, diese Dissertation, dieser ganze Prozess, stürzt mich immer wieder in ein Loch, in dem ich mit mir selbst hocke und nicht weiß, ob ich über mich drüber steigen soll um rauszukommen oder es mir unten gemütlich machen soll, weil ich sobald ich draußen bin eh wieder reinfalle.

Die Diss habe ich damals angefangen, weil ich - klar, Lust auf Forschung und das Thema - sehen wollte, mir beweisen wollte, dass ich an einem Thema langfristig selbstständig arbeiten kann. Ich hatte zu dem Zeitpunkt einen super bezahlten Job (seufz), einen Ausbildungs- und zwei Uniabschlüsse. Ich kann es nicht genau erklären, was mich so gereizt hat. Vielleicht war es auch einfach komplette Selbstzerstörung. Fühlt sich manchmal so an.

Ich promoviere extern. Ich bin in einem Promotionskolloquium mit tollen Menschen und Profs, zum Glück, aber ich bin eben nicht an der Uni. Ich war es mal, aber eben auch nicht, weil ich in Hamburg wohne und 160km weit weg arbeitete. Mittlerweile habe ich ein Stipendium und verbringe so viel Zeit mit mir alleine, meinem Kopf, Büchern und PDFs, dass ich manche Tage bis Abends nichts sage. Dann ist Telefonzeit mit meinem Freund, der unter der Woche woanders arbeitet. Ja, mir fällt gerade auf - heute habe ich noch kein Wort gesprochen. Ich überlege, ob ich aus Trotz meinen Bildschirm anfluchen soll, aber, come on.

Viele Menschen denken, zu promovieren hätte was mit Intelligenz zu tun. Klar, Forschungsdesign usw usf., aber ehrlich? Meistens ist es Disziplin. Fleiß. Sich selbst aushalten. Die Unsicherheit aushalten. Mein Doktorvater schrieb mir neulich besorgt, ob ich andere kennen würde, mit denen ich mich austauschen könne? Ja, kenne ich. Sie drehen alle am Rad. Alle. Ich kenne niemanden, der oder die promoviert (hat) und es eine schöne Zeit fand (Naturwissenschaftler_innen und Jurist_innen mal außen vor, bei euch läuft’s dann doch etwas anders). Ständig diese Selbstzweifel. Ab einem Punkt ständig die Unsicherheit, ob das, was man schon recherchiert hat, gut genug ist. Ob man es gut genug aufgeschrieben hat. Ob man die Zitate gut genug eingefügt hat. Ob man schnell genug schreibt. Und, wenn man nicht gerade eine Stelle an der Uni hat - ob man genug Geld im Monat übrig hat. Für Reisekosten. Forschungskosten. Bücher. Materialien. Oder einfach Essen.

Es ist eine scheiß Situation, und ich hab keine Ahnung, warum ich mir das freiwillig antue. Okay, doch, denn ja, ich liebe das Thema so sehr, und wenn ich einmal schreibe und forsche und tue, dann hab ich auch super viel Lust und genieße es sehr. Aber darunter schlummert fortwährend eine Unsicherheit, die niemals weggeht. Das fängt damit an, dass ich BWL studiert habe, und interdisziplinär in Arbeitsmarktsoziologie schreibe. Dass einen die Soziolog_innen immer schräg angucken (wieso schreibst du in Soziologie wenn du das nicht studiert hast? - als ob ich nicht schon nach einem Jahr mehr Ahnung von Netzwerkforschung gehabt hätte als sie ihr ganzes Studium machen, aber kay). Dass die Uni deine Abschlüsse zum Kultusministerium schickt, weil dein Abschluss ja nur FH ist und dein Master ja nur aus dem Ausland. Bologna my ass. Danke für nichts, btw.

Dass ich als Arbeiterkind nie weiß, ob ich jemals meinen eigenen Ansprüchen ans Akademikersein genügen werde. Dass ich bei Beginn erst lernen musste, was eine Fakultät ist, und ob es einen Unterschied zu einem Lehrstuhl gibt. Denn ich war ja nie an einer “richtigen” Uni, die FH war privat und der Master in Spanien. Ja, ich bin dauernd unsicher. Ob das reicht. Ich habe es zu meiner Mission gemacht, jeden verdammten Text im Original hier liegen zu haben, kopiert, ausgedruckt und besser noch mal als PDF, weil ich Angst habe, dass ich eine Formulierung aus Versehen übernehme, unbewusst natürlich, sie nicht kennzeichne und mir dann in ein paar Jahren Leute ans Bein pissen und den Doktorgrad aberkennen. Auch dafür, danke für all diese tollen Besserwissereien zu Plagiaten, ich könnte mir nichts angenehmeres vorstellen, als in Deutschland mit Zitaten zu arbeiten. Harrharr.

In meinem vorherigen Job war ich gut. Wenn ich schreibe, bin ich meist zufrieden (klar, mit manchen Texten mehr, mit anderen weniger). Wenn ich moderiere oder vortrage, weiß ich, dass ich das kann. Ich könnte morgen einen Vortrag über mein Diss-Thema halten, es wäre sicher super. Aber hier jetzt das nächste Kapitel schreiben? Gestern tweetete ich, dass ein Unterkapitel fertig wäre. “Unterkapital” schrieb ich, wohl weil ich über Bourdieus Kapitalarten schrieb, und der Hinweis auf den Tippfehler ruinierte meine ganze Freude drüber. Weil. Wer weiß. Vielleicht ist ja noch mehr falsch. Vielleicht reicht es nicht. Vielleicht ist es zu oberflächlich. Vielleicht hab ich was vergessen. Falsch zitiert. Falsch verstanden. Vielleicht verstehe ich ja das Thema gar nicht. Vielleicht bin ich einfach für das alles zu dumm.

Well, that escalated quickly.

Yep, jeden Tag. Intellektuell weiß ich, verstehe ich, dass ich mental, geistig schon in der Lage bin, diese Diss zu schreiben. Meine Diplomarbeit war eine Freude, ich hab eine Klasse übersprungen verdammte Kacke, aber nein, wenn ich dann vor diesem Kapitel sitze, denke ich: du machst dir was vor. Sie werden rausfinden, dass du nichts weißt. Dass du nicht hier hin gehörst. Dass du keine richtige Promoventin bist. Dass du nie an einer richtigen Uni warst und deswegen nicht gut genug bist.

Ich glaube, man nennt das Impostersyndrome.

(kurze Pause, weil weinen)

Okay, da war wohl der Nagel sein Kopf.

Also surfe ich. Lese auf Twitter all eure Links. Alle. Scrolle Tumblr durch und drücke dann F5. Gucke Serien. Spiele. Gucke wieder auf Twitter. Fange zwischendurch irgendwas an, vielleicht schreibe ich mir eine Erinnerung ins Handy, und drücke dann x-mal auf Snooze. Ich stehe jeden Tag früh auf, nur, um dann 16 Stunden nichts zu tun. Ich kann so nicht weiter machen. Ich kann nicht dauernd prokrastinieren, weil ich Angst habe, dass es nicht reicht. Ich muss mich da durch beißen. Ich will endlich fertig werden. Diplomarbeitszeit-Mina hätte das Ding schon längst weggeschrieben, aber da war ich noch naiv, und unbedarft, und hatte noch nicht endlos viele snarky Randbemerkungen über die Wertigkeit meiner Bildung und Herkunft gehört.

Natürlich ist das nicht nur ein Kampf mit mir selbst, sondern auch ein Kampf mit dem System per se, dass immer weiter gute soziale Herkunft fördert und als Leistung legitimiert, während alle anderen denken, sie wären die Einzelfälle, die, die beweisen müssen, dass sie besser sind, genauso gut mindestens, und weil das künstliche Bild der Eliten so auf Leistung stilisiert ist, glaubt man von außen natürlich, dass die Latte unerreichbar hoch liegt. Denn sonst könnte ja jede Prof werden. Oder CEO. (Könnte auch. Darf nur nicht).

Klar, ich weiß das alles, aber ich mache es mir nicht oft genug bewusst. Ich kann das. Ich. Kann. Das. Vielleicht sollte ich es an meine Wand schreiben, mir jeden Tag im Spiegel vorsagen, eine Selbsthilfegruppe gründen und es mir als Bildschirmhintergrund einrichten. (Oder die Word-Klammer so programmieren, dass sie bei Inaktivität aufpoppt und statt “es sieht so aus als würdest du einen Brief schreiben” besser “es sieht so aus als würdest du an dir selbst zweifeln: lass es” sagt.) Und wenn ich es mir dann bewusst gemacht habe, vielleicht fühle ich es dann irgendwann, besser bald, auch. Und kann noch ein Interview führen, ohne danach zwei Monate die Transkription prokrastinieren zu müssen, weil ich Angst hab, dass ich zu doof fürs Interviewen war (was ich nie bin).

Bis dahin bleibt nur: versuchen. An mich selber glauben. Jeden Tag.

Ich werde außerdem ein paar Apps und Methoden testen, falls ihr Tipps habt, gerne an mina[ät]frau-dingens.de.

Veröffentlicht von

Die Frau für Dingens und Gedöns. Und was sonst noch so anfällt.