Gespielt

Wann ist ein Kind ein Kind?

Ellie und Riley im Left Behind DLC

Achtung: Der folgende Text enthält Spoiler für die Spiele The Walking Dead und The Last of Us (inkl. Left Behind DLC). Ihr wurdet gewarnt.


 

Endlich bin ich dazu gekommen, das Ende der zweiten Staffel The Walking Dead zu spielen. Die zweite Staffel war emotional aufreibend, spannend und gut gemacht - ähnlich wie schon die erste Staffel, aber doch besser. Nach kurzem Grübeln kam ich zu dem Schluss, dass dies u.a. für mich auch darin begründet liegt, dass wir dieses Mal Clementine spielen konnten. So sehr ich Lee als Protagonisten mochte, so anders ist es doch als junges Mädchen / junge Heranwachsende zu spielen. Etwas, das in den letzten Jahren schon im letzten Tomb Raider Teil und dem The Last of Us Universum erfahrbar wurde - aber noch lange kein Standard ist.

Vorab ist festzuhalten, dass ich es für von unschätzbaren Wert halte, verschiedenste Menschen, Charaktere und Erfahrungen spielbar zu machen. Abweichend vom männlichen, heterosexuellen, mittelaltem, weißen Protagonisten ist es ein Gewinn, auch junge, alte, weibliche, homo-, bi-, pan-, asexuelle, (…) Charaktere in Spielen erlebbar zu machen. Und zwar nicht nur als gut geschriebene NPCs sondern auch als von den Spieler_innen kontrollierte Held_innen. Nicht nur wird so ein Umfeld geschaffen, das inklusiver ist und mehr Menschen Identifikationsrahmen bietet, sondern es kann auch immens dabei helfen, andere Erfahrungen auch für Außenstehende erfahrbar zu machen. Eine neue Perspektive kann geboten werden und im besten Falle macht es die Spieler_innen empathischer.

Super also, ein junges Mädchen zu spielen, wie Clementine in The Walking Dead, oder eine Jugendliche, wie Ellie in The Last of Us. Frauen als vielfältige Charaktere zu porträtieren ist wichtig, um all den vielen Tropes entgegen zu wirken, die immer wieder in Spielen reproduziert werden. Dafür weibliche Teenager oder gar Kinder zu wählen ist nicht dumm: diese Altersspanne zu sexualisieren ist in großen Teilen etwas, das zu Recht verpönt ist und somit bietet es im Spiel mehr Möglichkeiten, Charakterzüge auszuarbeiten. Auch werden romantische Beziehungen bei jungen Mädchen anders aufgefasst als bei erwachsenen Frauen - wenn sie denn überhaupt thematisiert werden. Perfekt gemacht ist es natürlich bei Ellie im Left Behind DLC: die gerade aufkommende romantische Nähe zu einer anderen Person und die Findung der eigenen Identität wird nicht durch den älteren, männlichen Helden ausgelöst sondern durch die gleichaltrige beste Freundin.

Die Geschichte um Clementine war größtenteils frei gehalten von romantischen Gefühlen, auch wenn es im letzten Teil eine kurze Dialogoption des Flirts mit Luke gab. An dieser Stelle stellt sich mir dann jedoch die Frage, ob diese Option wirklich narrative Option war oder eher Service für Spieler_innen. Und da liegt auch ein bisschen der Hase im Pfeffer begraben, wenn man The Walking Dead betrachtet. Clementine ist ein Mädchen, gerade noch Kind, das in einer Zeit aufwächst, die auch Erwachsene leicht traumatisiert. Tod, Gewalt (körperliche und emotionale), Hunger, Angst, all das sind Dauerzustände. Anders als bei Ellie, die nach dem Vorfall mit David sichtbar traumatisiert und verändert ist, spürt man als Clementine nie irgendwelche kindlichen Ausbrüche. Sie beißt sich auf die Lippe, schweigt, protestiert, aber alles in allem ist sie dauergefasst. Schlimmer noch - immer wieder wird sie von den Erwachsenen NPCs im Spiel benutzt. Sie soll vermitteln, unsichere Orte auskunden, Dinge beschaffen, Menschen manipulieren. Während im ersten Teil die Spieler_innen als Lee darauf bedacht waren Clem zu beschützen, so sieht man in der zweiten Staffel nicht mehr wirklich etwas davon.

Das nur auf das Erwachsenwerden von Clementine - was sie nicht mal ansatzweise vollzogen haben kann, bei bestem Willen nicht, sie ist nicht mal richtig in der Pubertät - zu schieben ist dabei zu kurz gedacht. Natürlich muss ein Spiel den Spieler_innen auch Entscheidungsräume bieten, und das umzusetzen während man ein Kind spielt, ist relativ schwierig. Es gibt Momente, in denen das bei Clementine gut gemacht ist - und andere, wo sie so abgebrüht ist, dass es einer das Blut in den Adern stocken lässt. Dass man also nicht nur Clementine sondern einen Teil des eigenen Selbst spielt, der besseren narrativen Möglichkeiten wegen, okay. Was ich für problematisch halte, ist jedoch etwas anderes.


(Achtung, konkreter Spoiler für die letzte Episode TWD)

In der letzten Folge stirbt eine wichtige Bezugsperson für Clementine: Luke bricht in Eis ein und ertrinkt. Vorher wird Clementine von Bonnie, einer anderen Erwachsenen, aufgefordert Luke herauszuziehen, während Luke sie bittet, in Sicherheit zu bleiben und stattdessen die herannahenden Walker zu erschießen. Wählt man diese Option nähert sich Bonnie Luke und beide brechen ein. Als Spieler_in kann man dann versuchen Luke zu befreien, kann aber nur Bonnie retten. So oder so, Luke stirbt - einer der wenigen durchaus loyalen und sympathischen Charaktere der zweiten Staffel für Clem.

Im Anschluss wird Clementine dann von Bonnie dafür verantwortlich gemacht, dass Luke gestorben ist. Sie ist verletzt, traurig, und lässt das alles an dem Kind aus. Sie geht sogar so weit zu sagen, dass es ja schön sein müsste immer das kleine Mädchen zu sein und das als Ausrede zu haben.


clem_aj

Clementine in The Walking Dead, Staffel 2, Episode 5. Telltale Games.

An dieser Stelle hat es mich so sehr aus dem Spiel gerissen, dass ich wirklich kurz wie gestunnt war. Ja, auch Erwachsene sind nicht immer fair, aber diese Botschaft im Spiel zu transportieren halte ich dann doch für gefährlich - gerade für jüngere Spieler_innen. Kinder (und Jugendliche) zu früh erwachsen zu machen und zu verkennen, dass auch mit 17 immer wieder mal kindliche Ausbrüche durchkommen können, ist etwas, dass langfristig ziemlich schädlich sein kann. Clementine muss sich immer wieder in Gefahr begeben, obwohl sie körperlich und emotional deutlich im Nachteil gegenüber den Erwachsenen ist. Sie emotional so zu misshandeln - ihre wichtigste Bezugsperson ist gerade vor ihren Augen gestorben - und das unkommentiert stehen zu lassen ist etwas, das mich sehr gestört hat (ähnlich schon wie die körperliche Gewalt gegenüber Clementine durch verschiedene Charaktere im Spielverlauf, sie wird immer wieder geschlagen, geschubst, misshandelt). Weder hat man die Möglichkeit Emotionen zu äußern noch springt irgendeine andere erwachsene Person im Spiel zur Seite. Was für eine Botschaft sendet das? Dass es legitim ist, ein Kind wie eine Erwachsene zu behandeln? Ich verstehe schon, dass man versucht hat, emotionale Tiefe aufzubauen. Allerdings ist es fahrlässig bis gefährlich ein Kind so erwachsen zu machen, ohne das zu kommentieren.

Interessant ist dabei auch, dass Clementine als junges Mädchen (8 Jahre) auch schon in der ersten Staffel als reifer behandelt wird als bspw. Duck. Der kleine Junge ist deutlich Kind und bleibt dies auch im Rückblick in Erzählungen der Erwachsenen im Verlauf der Staffeln. Clementine dagegen verliert ihren Kindheitsstatus und wird schon von Anfang der zweiten Staffel an misstrauisch beäugt. Den Vertrauensbonus eines Kinds, das im Normalfall keinen Plan hat anderen zu schaden, verliert sie vollkommen. Sie wird sogar verletzt in eine Gartenlaube gesperrt. Boys will be boys, aber Mädchen bleiben nie Mädchen. Wie selbstverständlich muss sie Walker beseitigen, Orte auskunden und Botengänge erledigen. Ganz anders dagegen Ellie in The Last of Us: sie muss sich erst erkämpfen Joel helfen zu dürfen, weil er Sorge um sie hat. Und das, obwohl sie viel älter ist (Ellie ist 14 am Ende von TLOU, Clementine 11).

So interessant es ist, als ein Kind zu spielen - so viel Sorgfalt würde ich mir doch von den Publishern wünschen. Gerade für jüngere Spieler_innen, die noch deutlich näher am Kindlichen dran sind als ich mit 29, ist es wichtig auch das kindhafte, junge, unschuldige so lange zu bewahren wie möglich, und es nicht aus narrativen Gründen gewaltvoll wegzureißen. Unsere Gesellschaft hat oftmals Probleme, Kinder als Kinder zu begreifen und nicht als verkleinerte Ausgabe von Erwachsenen - und das spiegelt sich manchmal auch in Spielen.

Vielleicht lautet am Ende gar nicht mehr so sehr die Frage, wann ein Kind ein Kind ist, sondern wann ein Erwachsener erwachsen ist.

 

 

Titelbild: Ellie und Riley im Left Behind DLC, Naughty Dog 2014